AUSTRIAN MAVERICKS – Eine andere österreichische Filmgeschichte

Sonnenstrahl (Pal Fejos, 1933)

Programm kuratiert von Christoph Huber (Österreichisches Filmmuseum)

Der österreichische Film ist abgesehen von ein paar Vorzeigenamen und Klischeebildern zwischen Sozialtristesse und speziellem Austro-Schmäh eine Art terra incognita, gerade im Ausland. Zwar gibt es innerhalb Österreichs in der Filmgeschichtsschreibung und renommierten Kritik eine Art nationalen Filmkanon, doch auch der ist vage umrissen und konzentriert sich vor allem auf die Ära ab den 1980ern, als durch die Einführung eines staatlichen Fördersystems verstärkt künstlerisch engagierte Projekte möglich wurden. Gewisse Werke der Stummfilmzeit und auch der 1930er (etwa die Wiener Filme von Willi Forst) haben ein Renommee auch über die Landesgrenzen hinaus, doch spätestens mit dem Anschluss an NS-Deutschland 1938 und der verstärkten Vernetzung der beiden Kinematografien beginnt eine belastete Periode inklusive einem populären Nachkriegskino, das wie in der BRD die längste Zeit bloß als trivial abgetan wurde – die überfällige Revision, die in den letzten Jahren für das bundesdeutsche Nachkriegskino erfolgte, steht noch aus.

Aber von den kanonisierten Klassikern über die kommerziellen Mainstream-Produktionen bis zu den abseitigeren Ausläufern der österreichischen Filmkunst ist ein Aspekt erstaunlich wenig gewürdigt worden: das österreichische Wesen an sich. Die Reihe AUSTRIAN MAVERICKS versucht einen verdichteten Vorschlag zu machen, wie man seine Essenz von den Anfängen der Filmgeschichte bis heute einfangen könnte: Indem man nach dem spezifisch österreichischen Habitus sucht, der sich auf unverwechselbare Bahn bricht, oft mit paradoxen Ausprägungen. Etwa im Zusammenfluss von Eleganz und Renitenz, wie ihn der große Volksschauspieler Hans Moser vervollkommnete – mit einer tragikomischen Note, die ebenso Österreich-typisch ist im Ineinander von schwarzem Humor und existenzieller Larmoyanz. Lethargie und Widerstandsbereitschaft, Experimentierfreudigkeit und Gemütlichkeit, extrovertierte Lust und melancholische Versenkung, Nostalgie und Anarchismus: In seinen wahren Sternstunden erzählt Österreichs Kino nicht nur von diesen widersprüchlichen Tendenzen, sondern wird regelrecht zu ihrem Ausdruck.

Dieser Spur folgt AUSTRIAN MAVERICKS quer durch die Genres und Formen – vom Spielfilm zum Experiment, vom Essay zur Animation – , während es in seiner chronologischen Zusammenstellung einen historischen Querschnitt der Entwicklung Österreichs liefert. Das Randständige und Rebellische von waschechten Mavericks zeigt sich dabei auch an Zentralfiguren des nationalen Kinos: von anerkannten Regie-Meistern wie Kurt Kren zu quintessenziell österreichischen Darstellern wie Hans Moser und Helmut Qualtinger (ganz zu schweigen vom Urwiener Regisseur-Darsteller Peter Kern). Aber auch eigensinnige Persönlichkeiten, die sich letztlich abseits der Filmbranche durchgesetzt haben wie Künstlerin Friederike Pezold oder Comiczeichner Nicolas Mahler. Und natürlich Filmschöpferinnen, die es außerhalb Österreichs jenseits von Spezialistenkreisen noch immer weitestgehend erst zu entdecken gilt, von den großen Sensibilisten wie Peter Schreiner zu Avantgarde-Koryphäen wie Norbert Pfaffenbichler und Mara Mattuschka. Gerade bei der jüngeren Produktion stehen die radikal Unabhängigen im Vordergrund, insbesondere die Ausnahmefigur Ludwig Wüst, der mit einem Überraschungsfilm anreisen wird und dem Frankfurter Publikum einen ersten Blick auf ein neues Werk [in progress] erlaubt.

Austrian Mavericks arrangiert all diese Arbeiten in thematisch-historischen Zusammenhängen: Von den eigenwilligen Frühwerken der Stummfilm-Ära (wie die einzigartige Fantasie Der Mandarin von 1918) über die kurzen Sozialutopien der Zwischenkriegsjahre (im Meisterwerk Sonnenstrahl, 1933) zur inneren Emigration als Verweigerungshaltung in der NS-Ära (bei E.W.Emo). Der Gegensatz zwischen Aufbruchstendenzen und konservativ-provinzieller Erstarrung in den Nachkriegsjahren (im perfekten Provinzkrimi Kurzer Prozess, 1967). Die Entfremdung im eigenen Land und erzwungenen Exil (etwa bei Kurt Kren), die kühnen – und gänzlich eigenwilligen – Entwürfe eines österreichischen Blicks von Kren über Pezold zu Pfaffenbichler. Und schließlich das Eingestehen des sozialen Scheiterns, aber ohne den Widerstandgeist aufzugeben (wie im autobiografische Sozialbau-Hypermelodram King Kongs Tränen, 2011) oder das Engagement (wie in Garten, 2019). Bei allem Raunzen: Ein echter Österreicher geht nie unter. Und ein Maverick schon gar nicht.
Christoph Huber

FILMPROGRAMM

Donnerstag, 13. Jänner 2022
im Festsaal im Studierendenhaus

19:00 Uhr
#1 Das Rote Wien – eine Utopie (ca. 105 Min)
Ein Film vom neuen Wien Frank Ward Rossak, 1926, DCP, 10′ (18 b/s)
Sonnenstrahl Paul Fejos, 1933, 35mm, 93′

21:30 Uhr
#2 In den Plattenbau – was von der Utopie übrigblieb (ca. 105 Min)
Flaschko – Der Mann in der Heizdecke Nicolas Mahler, 2002, 35mm (OF mit frz. UT), ca. 10 min
Der Park Nicolas Mahler, 2005, DCP, 5′
Das Wiener Kettensägenmassaker Martin Nechvatal, 1993, DCP, 16′
King Kongs Tränen Peter Kern, 2010, DCP, 72′

Freitag, 14. Jänner 2022
im Kino des DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum

18 Uhr
#3 Geniale Grenzfälle (ca. 90 Min)
Ja/Nein Ernst Schmidt jr., 1968, 16mm, 3′
37/78 Tree again Kurt Kren, 1978, 16mm, 4′
notes on film 01 else Norbert Pfaffenbichler, 2002, 35mm, 6′
Der Mandarin Fritz Freisler, 1918, 35mm, 54 min (18 b/s), ital. ZT mit dt. UT
Black Death Filter Dietmar Brehm, 2003, 16mm, 10′
MOSAIK MÉCANIQUE (Notes on Film 03, Cinematic Version) Norbert Pfaffenbichler, 2007, 35mm, 10 min
in Anwesenheit von Norbert Pfaffenbichler

Samstag, 15. Jänner 2022
im Festsaal im Studierendenhaus

12:00 Uhr
#4 Asyl (ca. 145 Min)
31/75 Asyl Kurt Kren, 1975, 16mm, 8′
Garten Peter Schreiner, 2019, DCP, 136′
Deutschlandpremiere

15:00 Uhr
#5 Provinzsumpf – Chroniken zum Totlachen (ca. 130 Min)
Kurzer Prozeß Michael Kehlmann, 1967, 35mm, 95 min
Knittelfeld – Stadt ohne Geschichte Gerhard Benedikt Friedl, 1997, 16mm (OF mit engl. UT), 35′

Pause von 17.30 bis 19 Uhr

19:00 Uhr
#6 Sehgewohnheiten Sprengen (ca. 130 Min)
Plasma Mara Mattuschka, 2004, DCP, 11′
Mystery Music Nicolas Mahler, 2009, DCP, 5′
Dreh & Trink Veronika Franz, Severin Fiala, 2013, digital, 35′
Canale Grande Friederike Pezold, 1983, 35mm (OF mit frz. UT), 82′

22:00 Uhr
#7 Austro-German Maverick
Überraschungsfilm von Ludwig Wüst, DCP, 70′
in Anwesenheit von Ludwig Wüst


Sonntag, 16. Jänner 2022
im Festsaal im Studierendenhaus

13:00 Uhr
#8 Jenseits des Krieges (ca. 100 Min)
CONFERENCE notes on film 05 Norbert Pfaffenbichler, 2011, 35mm, 8′
Anton, der Letzte E.W. Emo, 1939, 35mm, 88′
49/95 tausendjahrekino Kurt Kren, 1995, 35mm, 3′
in Anwesenheit von Norbert Pfaffenbichler

15.30
#9 Projektionen in die Ferne (ca. 130 min)
26/71 Zeichenfilm – Balzac und das Auge Gottes Kurt Kren, 1971, 35mm, 1′
Odessa Crash Test (Notes on Film 09) Norbert Pfaffenbichler, 2014, DCP, 6′
Es hat mich sehr gefreut Mara Mattuschka, 1987, 16mm, 2′
The Abotess and the Flying Bone Hans Scheirl, Dietmar Schipek, 1989, 16mm, 18′
Der Einzug des Rokoko ins Inselreich der Huzzis Andreas Karner, Mara
Mattuschka Hans Werner Poschauko, 1989, 16mm, 103′
in Anwesenheit von Norbert Pfaffenbichler

Pause von 18.15 bis 20 Uhr

20:00 Uhr
#10 Die Zukunft ist Oasch (ca. 115 Min)
Unternehmen Arschmaschine Mara Mattuschka, Gabriele Szekatsch, 1997, 16mm, 17′
Planet Kratochvil Nicolas Mahler, 2007, DCP, 5′
The End of Walnut Grove, Die Ölfilmer, 2013, DCP, 29′
2551.01 Norbert Pfaffenbichler, 2021, DCP, 65′
in Anwesenheit von Norbert Pfaffenbichler

PREISE
Einzelkarte Festsaal: 5 €
Einzelkarte Kino im DFF: 8 € / 6 € (es gelten die regulären Preise und Vergünstigungen des DFF)
Dauerkarte: 35 € (gilt nicht für die Vorstellungen im DFF)

Wir werden bei der Veranstaltung alle derzeit vorgeschriebenen hygienischen Bestimmungen beachten, darunter Abstandsregeln, Platzbeschränkungen und 2G-Regelung.
Wir empfehlen eine Kartenreservierung unter: kontakt@filmkollektiv-frankfurt.de

Herzlichen Dank an:
Natascha Gikas – Andreas Beilharz (DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum), Laura Sommer – Björn Schmitt (Pupille e.V.), Regine Nicoleit – Sebastian Heidrich (AStA Goethe-Universität Frankfurt), Kevin Lutz – Manuel Lessnig (Österreichisches Filmmuseum), Gerald Weber (sixpackfilms), Martin Nechvatal, Nikolaus Eckhard, Peter Roehsler (nanookfilms), Denise Quistorp – Jacqueline Poledna (Österreichiches Kulturforum Berlin), Fritz Mettal, Nikolas Schuppe, Fritz Schmidt (Filmtaxi Innsbruck)

Das Filmprogramm Austrian Mavericks ist eine Veranstaltung des Filmkollektiv Frankfurt – Projektionsraum für unterrepräsentierte Filmkultur e.V. in Kooperation mit der Pupille e.V. und dem DFF – Deutsches Filminstitut und Filmmuseum.
Sie wird unterstützt von der Hessen Film und Medien GmbH, dem Kulturamt der Stadt Frankfurt, dem Österreichischen Kulturforum Berlin und dem AStA der Goethe-Universität Frankfurt.